Mit der digitalen Welt tun sich viele ältere Menschen schwer. Kurse sollen Interesse wecken und Kompetenzen vermitteln. Doch den Umgang mit sinnlosen KI-Assistenten kann man dort auch nicht lernen.

Obertshausen – Richard Losch hatte dann genug von „Carla“. Er fuhr von Dietzenbach nach Obertshausen und regelte seine Angelegenheit wie in alter Zeit: im Kundenzentrum der Maingau, im Gespräch mit zwei „echten“ Mitarbeiterinnen. Mit der Mitarbeiterin „Carla“ ging nichts zusammen. So heißt die per Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuerte Assistentin, mit der der Energieversorger auf der eigenen Webseite Kundenwünsche zu erfüllen versucht.

Die Leistungsfähigkeit von „Clara“ stuft Losch so ein: „Das ist, als wenn Sie Probleme mit ihrem Computer haben und jemand fragt Sie: Haben Sie schon den Netzstecker hineingesteckt? Oder er rät: Rufen Sie einen, der sich damit auskennt.“ Dabei wollte Losch eine simple Lösung: Zwei Stromverträge für zwei Wohnungen in einen umwandeln. Keine Chance. Auch ein Anruf sei wieder zu einer KI geleitet worden. Als ob die Maingau menschlichen Kontakt unterbinden will.

 

Trotz seiner 80 Jahre: Richard Losch ist Teil des digitalen Fortschritts

Nun ist Losch trotz seiner 80 Jahre alles andere als ein digitaler Nichtschwimmer. Der ehemalige Ingenieur für Nachrichtentechnik hält mit dem Fortschritt mühelos mit, er nutzt selbst das KI-Werkzeug ChatGPT, um Texte zu schreiben. Und einmal im Monat bringt Losch als Referent im „PC-Bistro“ der Dietzenbacher Seniorenhilfe gut 30 älteren Menschen die digitale Welt näher.

Dabei ist Basis die Nutzung des Messengerdienstes Whatsapp, um sich mit dem Enkel oder der Tochter Bildchen zuschicken zu können. Das ist auch ein Mittel gegen die Einsamkeit. Wiewohl ein Senior mit eingeschränkter Mobilität dank Internet nicht nur kommunikativ am Leben teilnehmen kann. „Er muss ja nicht mehr zum Supermarkt laufen, sondern kann sich bei Rewe seine Waren online bestellen und dann liefern lassen“, sagt Losch.

 

SPD Obertshausen fordert analoge Teilhabe

Doch die SPD-Fraktion in der Obertshausener Stadtverordnetenversammlung kämpft auch für Menschen, die analog geblieben sind. „Der Magistrat soll gewährleisten, dass Teile der Gesellschaft, insbesondere ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung, in Obertshausen nicht digital diskriminiert werden. Hierzu ist es erforderlich, für die nicht digitalisierten, also analog nutzenden Einwohner eine Partizipationsmöglichkeit, einen analogen Zugang zu erhalten“, hieß es in einem Antrag im Mai.

Fraktionsvorsitzender Walter Fontaine hatte ihn auch mit einer Zahl begründet: 2,8 Millionen Menschen in Deutschland haben keinen digitalen Zugang. „Von den 70- bis 79-Jährigen leben 18 Prozent und von den 80- bis 90-Jährigen sogar 49 Prozent ohne Internet.“ Die SPD wollte die Stadtverwaltung dazu auffordern, zu ermitteln, welche digitalen Angebote zurzeit nicht analog zur Verfügung stehen und diese Ungleichbehandlung, diese „digitale Diskriminierung“, aufzuheben und den analogen Weg für nicht digitalisierte Einwohner wieder zu öffnen.

 

Digitalminister Wildberger träumt von deutschlandweiter Dynamik

Letztlich forderten die Sozialdemokraten das Bewahren einer Parallelstruktur in einer Zeit, in der auch Stadtverwaltungen immer mehr Prozesse digitalisieren wollen, ja, müssen, um effizienter zu werden. Am Ende fanden sie nur bei den Grünen Unterstützer.

Auch der neue Bundesdigitalminister Karsten Wildberger hätte wohl dagegen gestimmt. In der „Süddeutschen Zeitung“ sagte er letztens, dass im ersten Schritt in zwei Bundesländern in zweieinhalb Jahren 50 Prozent mehr digitale Bürgerleistungen angeboten werden sollen. Wenn das gelingt, könne es zu einer deutschlandweiten Dynamik kommen.

 

Knappe Rente: Wenn Internet zum Luxus wird

Doch welcher Druck auf alten Menschen lastet, beweist nur ein Blick nach Darmstadt, wo das Verkehrsunternehmen Heag Mobilo Fahrkartenautomaten abschafft, die Passagiere sollen stattdessen Tickets über eine Smartphone-App kaufen. Seniorenvertretungen wie die des Deutschen Gewerkschaftsbundes protestierten. Doch die Automaten dürften genauso unrentabel sein wie Bankfilialen, weil immer mehr Menschen ihre Fahrkarten im Smartphone haben oder Geldgeschäfte online erledigen.

Wer jetzt sagt, dass die Alten halt einfach sich mit dem Internet beschäftigen sollen, missachtet eine andere Zahl: 1 668 Euro. Das ist die Höhe der monatlichen Durchschnittsrente in Deutschland, und mehr als 25 Prozent bekommen sogar noch weniger. Internet, gar ein Smartphone, sind dann verzichtbarer Luxus. Wie gehen die mit dem Fortschritt um?

 

Ein Internetkurs als großartiges Erlebnis für eine Seniorin

Doch für solche, die sich beides leisten können, gibt es Möglichkeiten, am Fortschritt teilzuhaben. Zumal der ja nicht erst 2025 begonnen hat. Horst Erich Sahm erinnert sich gerne an einen Internetkurs von vor etwa zehn Jahren. Schon zu dieser Zeit hatte der Zentralverein für Bürowirtschaft, Informationsverarbeitung, Kurzschrift und Tastschreiben (ZVB) Obertshausen Lehrgänge für Senioren angeboten. Sahm war ZVB-Vorsitzender und schwärmt von einer damals 84 Jahre alten Frau, für die dieser Kurs „der schönste ihres Lebens war, wie sie mir sagte“.

Heute ist Sahm 76 Jahre alt, „voll digital“, wie er sagt, und Ehrenvorsitzender des Vereins. Geblieben ist sein Anspruch für die Digitalisierung von Senioren. „Wir müssen deren Interesse wecken und zeigen, dass das alles gar nicht so schwierig ist.“ Die Dozenten im ZVB müssen dafür erstmal eines schaffen: Angst abbauen, diese neue Welt nicht zu begreifen. Richard Losch muss in seinen Kursen noch andere Ängste abbauen: vor Kriminellen im Internet. „Der Betrugsversuche sind oft dermaßen professionell gemacht, dass es selbst mir schwerfällt zu erkennen: Ist das Fake oder echt?“ Doch auch hier gilt: Erfahrung macht den Meister.

Maingau könnte beim Thema KI-Assistent von Klarna lernen. Nachdem der schwedische Zahlungsdienstleister Hunderte Mitarbeiter durch die Künstliche Intelligenz ersetzt hatte, wird nun umgedacht: Es sei aus Markensicht entscheidend, dass Kunden wüssten, sie könnten jederzeit mit einem Menschen sprechen, sagte Unternehmenschef Sebastian Siemiatkowski im Gespräch mit dem Wirtschaftsdienst „Bloomberg“. Dem werden alle Altersgruppen zustimmen. (Steffen Gerth)

 

Der Beitrag ist erschienen in der Offenbach Post am 17.07.25, online nachzulesen unter https://www.op-online.de/region/obertshausen/wenn-die-ki-von-maingau-in-obertshausen-den-kunden-verzweifeln-laesst-93838394.html?utm_source=_shared&utm_medium=west&utm_campaign=interactionbar